Zusammenfassung
Hintergrund: Die aktuelle Diskussion um die notwendige Reform der GKV-Finanzierung konzentriert
sich auf die Modifikation des bestehenden Gesundheitsfonds durch signifikante Kopfprämien
mit steuerfinanziertem Sozialausgleich. Dabei wird die Problematik der Umlagefinanzierung
ausgeblendet und übersehen, dass durch den demografischen Wandel die Nachhaltigkeit
und Generationengerechtigkeit der Finanzierung akut gefährdet sind und diesbezüglich
ebenfalls gesundheitspolitischer Handlungsbedarf besteht. Zielsetzung: Es sollen der Wirkungsmechanismus demografischer und medizinisch-technischer Effekte
auf die langfristige Beitragsentwicklung dargestellt sowie Beitragssatz- und Kopfprämien-Prognosen
bis zum Jahr 2050 präsentiert werden, um die zu erwartende „Nachhaltigkeitslücke“
qualitativ und quantitativ nachzuweisen und daran anschließend mit der „Teilkapitaldeckung“
einen gangbaren reformpolitischen Weg zu ihrer Schließung aufzuzeigen. Ergebnisse: Unter Status-quo-Bedingungen ist bis zum Jahr 2050 je nach Annahmen mit Beitragssätzen
zwischen 26,9 % und 34,9 % sowie mit Kopfprämien zwischen 263 € und 341 € pro Monat
zu rechnen. Im Mittelwert würde dies gegenüber der Ausgangssituation von 2010 mit
14,9 % bzw. 132 € mehr als einer Verdoppelung entsprechen, woraus sich die Dringlichkeit
einer auf Nachhaltigkeit gerichteten Finanzierungsreform ergibt. Sie würde nach den
vorliegenden Berechnungen geschlechts- und kohortenspezifische Aufschläge auf die
ausgabendeckenden Kopfprämien erfordern, die 2006 noch zwischen 28 € und 73 € pro
Monat gelegen hätten, aber umso höher liegen werden, je länger die Reform auf sich
warten lässt.
Abstract
Background: The discussion about reforming the financial structure of the German statutory health
care system focuses on supplementing the current health care fund with its income
proportional contributions by significant per capita premiums in addition to a tax-financed
social transfer. However, the prevailing problems of the pay-as-you-go system (Umlagefinanzierung)
are completely ignored. Especially, discussants disregard that the sustainability
and the intergenerational justice are greatly endangered by the ongoing demographic
change. Therefore a reform is needed, which addresses these aspects as well. Aim: The long-term effects of the demographic change and the medical-technical progress
on the health contributions will be shown. In addition, a projection of the contribution
rate as well as a forecast of the per capita premium will be presented until the year
2050, in order to prove the expected “gap of sustainability” in a qualitative and
quantitative way. Subsequently, it will be shown that the expected sustainability
gap can be filled by a partly capital funded system. Results: Upon status quo conditions it is expected that the contribution rate will increase
to 26.9 – 34.9 % and the equivalent premiums are expected to amount to 263 – 341 €
per month in 2050. On average, this would correspond to a doubling of the contribution
rate in 2010 of 14.9 % or of the premium of 132 €, respectively. Again, this shows
the urgency of a financial reform of the current health care system. According to
our calculations an additional permanent gender- and cohort-specific premium on top
of the per capita premium is needed. This additional premium would have amounted to
28 – 76 € per month in 2006. However, it is rising to an even higher amount the longer
it takes to reform the system.
Schlüsselwörter
Gesetzliche Krankenversicherung - Finanzierungsreform - Demografische Effekte - Beitragsprognosen
- Kapitaldeckung
Key words
statutory health insurance - financial reform - demographic effects - contribution
prognoses - funding methods
Literatur
1
Cassel D.
Die Notwendigkeit ergänzender Alterungsreserven und höherer Rentner-Beiträge in der
GKV.
Wirtschaftsdienst.
2003;
83 (2)
75-80
2 Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften, (Hrsg.) Wege zur nachhaltigen
Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Vorträge I 13 Paderborn: Schöningh;
2005
3 Cassel D, Müller C, Sundmacher T. Die Finanzierung der GKV auf dem „normativen Prüfstand“.
In: Rebscher H, (Hrsg.) Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik im Spannungsfeld
zwischen Wissenschaft und Politikberatung.. Heidelberg: Economica; 2006: 289-306
4
Cassel D, Postler A.
Alternde Bevölkerung und Gesundheitsausgaben. Eine theoretische Analyse demographischer
Ausgabeneffekte auf den Beitragssatz der GKV.
Jahrbücher f Nationalökonomie u Statistik.
2007;
227 (5 + 6)
578-602
5 Postler A. Nachhaltige Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Eine theoretische
und empirische Analyse demographischer und medizinisch-technischer Effekte auf den
Beitragssatz.. Berlin: Duncker & Humblot; 2010
6
Cassel D, Postler A.
Warten auf Rürup? Zur Dringlichkeit einer Finanzierungsreform der GKV.
Wirtschaftsdienst.
2003;
83 (7)
437-444
7
Postler A, Sundmacher T.
Ageing and health care expenses.
Health and Ageing.
2006;
15 (10)
5-10
8 Krämer W. Hippokrates und Sisyphus. Die moderne Medizin als Opfer ihres eigenen
Erfolgs.. In: Kirch W, Kliemt H, (Hrsg.) Rationierung im Gesundheitswesen.. Regensburg:
Roderer; 1997: 7-19
9 Zweifel P. Bevölkerung und Gesundheitswesen. Ein Sisyphus-Syndrom?. In: Felderer B,
(Hrsg.) Bevölkerung und Wirtschaft.. Berlin: Duncker & Humblot; 1990: 373-386
10
Breyer F.
Auf Leben und Tod – Steigende Lebenserwartung und Sozialversicherung.
Perspektiven der Wirtschaftspolitik.
2004;
5 (2)
227-241
11 Postler A. Modellrechnungen zur Beitragssatzentwicklung in der Gesetzlichen Krankenversicherung. [Diskussionsbeiträge]
Duisburg: Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Universität Duisburg-Essen; Februar/2003
Nr. 298
Prof. Dr. Dieter Cassel Dr. Andreas Postler
Mercator School of Management, Universität Duisburg-Essen
Lotharstraße 65
47048 Duisburg
Phone: ++ 4 9/2 03/3 79/23 52/18 22
Fax: ++ 4 9/2 03/3 79/23 53
Email: dieter.cassel@uni-due.de
Email: andreas.postler@aluinfo.de